Unser heutiger Mama-Alltag ist oft geprägt von viel Hektik, Stress und Organisieren. Schlagwörter wie Mental-Load und Mama-Burnout sind teilweise aus den unterschiedlichen Medien nicht mehr wegzudenken. Spätestens seit unseren Pandemie-Zeiten, in denen Mütter Mammutleistungen erbracht haben, sind Informationen rumd um das Thema „mentale Gesundheit“ so gebraucht wie eh und je.
Daher freue ich mich umso mehr heute die wunderbare Victoria Hirsch im Interview zu haben. Wir beide kennen uns bereits seit über 2 Jahren und haben uns durchs bloggen kennengelernt. Im letzten Jahr hat sie sich zur Entspannungspädagogin weitergebildet und unterrichtet seitdem Kurse in unterschiedlichen Entspannungstechniken, wie auch Yoga. Da sie selbst als Mama von zwei kleinen Kindern viel Erfahrungen mitbringt, möchte ich mit diesem Interview beides kombinieren und dir aufzeigen, mit welchen Methoden auch du Entspannung in deinem Mama-Alltag integrieren kannst.
Du bist Entspannungspädagogin und selbst Mama von 2 kleinen Kindern. Erzähl mal, wie dein Weg zur Entspannungspädagogik war?
Ich hatte schon nach der Geburt von meinem Sohn 2016 gemerkt, dass mich die ganzen Erwartungen an das „Muttersein“ und die Verpflichtungen und vor allem die Fremdbestimmung sehr mitgenommen haben. Ich hatte dann auch knapp 6 Monaten nach der Geburt eine sehr schwierige Phase, weil mein ganzes Leben plötzlich auf den Kopf gestellt wurde. Gefühlt ging das Leben von allen anderen weiter und ich saß mit einem brabbelnden Baby zu Hause.
Vielleicht war das auch eine postnatale Depression, ich weiß es nicht, aber zusammen mit meinem Mann bin ich dann doch recht gut durch diese Zeit durchgekommen. Damals fingen allerdings auch die ersten Stresssymptome an: Zähne knirschen, Ohrenschmerzen, Verspannungen, miese Laune. Als ich nach meiner Elternzeit wieder arbeiten gegangen bin, wurde das nicht besser, sondern zusätzlich zu Kind und Haushalt kam jetzt noch die Arbeit hinzu: klassischer Mental Load einer berufstätigen Mama.
Ich wurde dann während Corona mit meiner Tochter schwanger und entschied meinen Arbeitgeber zu verlassen und mir über den Mutterschutz und die Elternzeit Gedanken zu machen, was ich in Zukunft beruflich machen möchte. Nach 15 Jahren im Büro wollte ich mal etwas anderes ausprobieren und zum Glück waren wir in der Lage dies finanziell zu meistern. Ich habe dann zum einen die Weiterbildung zur Ernährungsberaterin gemacht und anschließend die Ausbildung zur Entspannungspädagogin.
Beide Themen spielen in meinem Leben eine wichtige Rolle und ich fand die Kombination aus beiden sehr interessant für mich und auch für meine zukünftigen Klienten. Die Yogalehrer-Ausbildung habe ich jetzt noch gemacht, um eine Dreier-Kombination aus Bewegung, Entspannung und gesunder Ernährung anbieten zu können.
Wie ist deine Sicht/Erfahrung auf den heutigen Alltag von Müttern?
In meiner Kindheit hat meine Mutter immer gearbeitet. Auch meine Oma war immer berufstätig und hat Kinder, Haushalt und Beruf irgendwie unter einen Hut bekommen.
In der heutigen Zeit ist es genauso, doch wir stehen viel mehr im „Rampenlicht“ als früher und wollen es natürlich auch anders machen als die Generation vor uns. Erziehungsstile haben sich verändert, Ernährungsgewohnheiten sind anders und die Beziehung von Eltern zu ihren Kindern hat sich gewandelt. Durch Social Media und das Internet werden wir mit so vielen Rollenbildern von Müttern und perfekten Eltern konfrontiert, dass einige verunsichert sind, was denn jetzt „richtig“ ist.
Ich bin in der glücklichen Lage, dass meine Eltern nur einen Steinwurf weit weg wohnen und meine Oma sogar mit bei mir im Haus lebt. Das heißt, ich kann auf ihr Wissen und ihre Erfahrungen relativ kurzfristig zurückgreifen, um auf Situationen zu reagieren. Selbst wenn es nur die Frage ist, wie lange der Hefekuchen im Ofen bleiben muss 😅.
Viele Mütter haben dies nicht und versuchen sich dann im Internet und mit Dr. Google weiterzuhelfen. Sie vertrauen nicht mehr auf ihre Intuition und haben niemanden greifbar, den sie fragen können. Dies führt dazu, dass diese Frauen mit so vielen verschiedenen Meinungen konfrontiert werden, die sie dann überfordern. Diese ganze Information zu sichten, einzuordnen und dann eine Entscheidung zu treffen ist eine wahnsinnige Aufgabe und bei der ganzen Arbeit, die wir eh noch haben, reicht die Zeit zum Reflektieren meist nicht aus.
Gerade Fragen wie: Ab wann darf mein Kind Zucker essen? Wann darf es mal Fernsehen? Soll ich es gegen alles impfen lassen? Barfußschuhe, barfuß laufen oder die Schuhe doch im Discounter kaufen? Selbst an diesen drei „einfachen“ Fragen scheiden sich die Geister und wenn man andere Mütter frage, bekommt man unendlich viele Meinungen dazu. Das heißt in der heutigen Zeit wird von uns Müttern sehr viel abverlangt, wir werden verglichen, bewertet und bekommen Rollenbilder präsentiert, die wir einfach nicht alle erfüllen können und das stresst uns und geht irgendwann an die körperliche und psychische Gesundheit.
Du hast vollkommen recht, mit dem, was du sagst. Was würde aus deiner Sicht Müttern helfen, um psychisch gesund zu bleiben?
Zuallererst Social Media löschen und nicht mehr alles Googlen.
Wichtig ist es die ganzen Informationen, die jeden Tag auf einen einprasseln abzustellen, um die eigene innere Stimme wieder zu hören. Was sagt mein Herz/mein Bauch dazu? Wie geht es mir? Was brauche ich gerade? Dabei können wunderbar einfache Atemübungen oder ein Body-Scan helfen, um sich wieder mit sich selbst zu verbinden. Die Gedanken, die im Kopf umherschwirren sollen bei diesen Übungen auch nicht abgestellt, sondern eher in „Bahnen gelenkt“ und sortiert wahrgenommen werden. Was beschäftigt dich gerade? Auf welchem Problem kaust du herum oder was verursacht dir ein ungutes Gefühl im Bauch?
Hilfreich ist auch mal ohne Podcast oder Musik spazieren zu gehen. Einfach der Natur lauschen, der eignen inneren Stimme zuhören und manchmal verlässt man das Haus mit einem Problem und kommt mit vielen Lösungen wieder nach Hause. Es muss nicht immer die 60-Minuten-Yoga-Einheit sein, um sich zu entspannen oder 20 Minuten autogenes Training.
Manchmal reicht schon ein Spaziergang, ein paar Atemzüge am offenen Fenster oder fünf Minuten mit einer Tasse Kaffee in Ruhe am Küchentisch. Achtsam sein, gegenüber sich selbst und seiner Umwelt. Die Momente genießen und auch mal Loslassen. Loslassen von Erwartungen, die wir eh nicht erfüllen können, von Vorstellungen einer perfekten Mutter oder auch von Traditionen, die nicht mehr zu uns passen. Viele denken beim Wort „Loslassen“ an Verlust doch eigentlich bekommen wir etwas geschenkt: nämlich die Möglichkeit über unser Leben wieder selbst zu bestimmen.
Im Rahmen deiner Ausbildung hast du auch die klassischen Entspannungsverfahren kennengelernt. Was gehört denn eigentlich alles dazu?
Die beiden „klassischen“ Entspannungsverfahren, die meist auch in Reha-Kliniken oder Mutter-Kind-Kuren angeboten werden, sind zum einen das autogene Training und zum anderen die progressive Muskelentspannung. Beides sind bewährte Methoden, die wissenschaftlich untersucht sind und auch von Krankenkassen gefördert werden.
In meiner Ausbildung habe ich jedoch noch andere Verfahren kennengelernt, die mein Portfolio ergänzen. Ich bin noch Meditationsleiterin und Yogalehrerin und habe somit noch andere Tools im Gepäck, um meinen Klienten zu helfen und die für sie passende Entspannungsmethode zu finden. Jeder Mensch ist unterschiedlich und jeder spricht anders auf die Verfahren an. Ich biete meinen Klienten einen Blumenstrauß an Methoden, aus dem sie sich das für sie passende heraussuchen können. Das können einfache Atemübungen sein, der Sonnengruß aus dem Yoga, eine schöne Meditation oder auch das autogene Training oder die progressive Muskelentspannung.
Manche Teilnehmer meiner Kurse berichten mir auch, dass sie die Methoden unterschiedlich anwenden je nach Tageszeit oder körperlicher Verfassung. Das heißt, sie haben durch die Verfahren schon so einen Zugang zu ihrem Körper und ihrem Gemütszustand erhalten, dass sie genau wissen, was sie jetzt brauchen, um in die Entspannung zu kommen.
Ich selbst praktiziere Yoga, meditiere und wenn ich Schlafprobleme habe, nutze ich das autogene Training oder einen einfachen Body-Scan, um wieder einzuschlafen. Das heißt, man muss sich nicht für die eine Methode entscheiden, sondern kann sie ganz situativ anwenden.
Welche Möglichkeiten haben Mütter, diese „klassischen Entspannungsverfahren“ in ihren Alltag zu integrieren. Worauf ist deiner Meinung nach zu achten?
Ich habe einige berufstätige Mütter in meinen Kursen, die vor allem das autogene Training nutzen möchten, um sich im Alltag zu entspannen bzw. ihr Stresslevel zu senken. Autogenes Training kann in stressigen Phasen helfen das Nervensystem herunterzufahren oder auch bei Ein- und Durchschlafproblemen wahre Wunder wirken. Eigentlich alle meine Teilnehmer*innen berichten mir von tiefem und erholsamem Schlaf und wie energiegeladen sie am nächsten Morgen dann sind.
Wichtig ist mir hierbei, dass wenn Leute sich dafür interessieren, sie einen Kurs besuchen, wo sie die Technik erlernen können. Autogenes Training ist eine Form der Hypnose, das heißt wir arbeiten hier mit dem Unterbewusstsein. Sich einfach auf Spotify oder YouTube etwas anzuhören kann da gefährlich werden, denn das, was gesagt wird, verankert sich im Unterbewusstsein.
In meinen Kursen sensibilisiere ich meine Teilnehmer*innen dazu und biete ihnen auch am Ende vom Kurs meine eigenen Audios zum privaten Gebrauch an. Außerdem ist es immer wieder schön in den Kursen den Austausch der Teilnehmer*innen zu beobachten. Da werden viele Tipps weitergegeben und ich spüre immer wieder, wie die Gruppe zusammenwächst. Gerade Teilnehmer*innen in verschiedenen Lebensphasen können sehr unterstützend sein und auch neue Sichtweisen auf verschiedene Situationen geben.
Solche Entspannungsverfahren erlernt man am besten nur in Kursen? Gibt es denn auch Möglichkeiten, wenn man vielleicht nicht die Zeit für einen Kurs hat?
In den Kursen über 8 Termine erlernen die Teilnehmer*innen die Technik des autogenen Trainings oder der progressiven Muskelentspannung, um die Methode im Alltag anzuwenden. Das Ziel ist, dass sie am Ende ihr Nervensystem innerhalb von 30 Sekunden in die Entspannung bringen können. Also das Umschalten vom Sympathikus in den Parasympathikus.
So ein Kurs braucht Zeit und Übung, um am Ende wirklich das Ergebnis zu erzielen und funktioniert nicht von jetzt auf gleich. Wenn mir Leute sagen, dass sie dafür keine Zeit haben, dann ist ihr Leidendruck anscheinend noch nicht hoch genug, denn wenn ich etwas lernen möchte, nehme ich mir die Zeit dafür. Dann mache ich es möglich.
Natürlich kann sich jeder auf Spotify oder YouTube Audios zu Entspannungsverfahren anhören und sie jeden Abend machen, doch wichtig ist auch zu verstehen, was genau im Körper vorgeht, wenn wir in Stress geraten und welche Mechanismen dort zusammenkommen. Denn wenn ich eine Sache verstehe, kann ich auch entsprechen entgegenwirken.
Eine letzte Frage zum Abschluss. Was würdest du heute mit deinem Wissen der Victoria von damals raten?
LOSLASSEN!
Alle Erwartungen, die an dich gestellt werden oder auch Vorstellungen, die du von dir hast, einfach beiseiteschieben. Hör auf dein Herz und deinen Bauch und gehe deinen Weg – du machst das schon alles richtig!
Und wenn es mal nicht so läuft, dann lerne daraus und orientiere dich neu. Nutze Möglichkeiten und vertraue auf deine Stärken! Genieße das Leben und verabschiede dich von dem Bild, dass du von dir als Mutter hast – denn so bist du einfach nicht!
Liebe Vicky, ich danke dir vielmals für diesen tollen Einblick in deine Arbeit und dieses inspirierende Interview.
Bist du vielleicht auch eine Expertin auf einem bestimmten Gebiet und möchtest dein Wissen gerne für andere Mütter teilen? Dann melde dich von Herzen gerne bei mir und lass uns sprechen.