Bevor ich überhaupt beginne zu erzählen, wie es zu diesem Interview gekommen ist, möchte ich gerne noch einen Disclaimer aussprechen. In diesem Blogbeitrag geht es um den Verlust eines Kindes, um das Thema „stille Geburt“, sowie um das Thema Depressionen. Solltest du daher aktuell schwanger oder mental nicht in der Lage dazu sein, diese Inhalte zu konsumieren, bitte ich dich von Herzen, diesen Artikel nicht zu lesen. Allen anderen Leserinnen soll er jedoch einenen Einblick in die Gefühlswelt einer Sternenmama geben, aber genauso auch Mut machen und Aufzeigen, dass auch die dunkelsten Zeiten irgendwann wieder durch Sonnenstrahlen erhellt werden.
Erfahre, wie es zu dem Interview gekommen ist, was Caro erlebt hat und was sie anderen Mamas mitgeben möchte, die ähnliche Situationen durchmachen mussten.
Caro und ich kennen uns seit ein paar Monaten durch Instagram. Durch ihre Story habe ich vor ein paar Wochen mitbekommen, dass sie Mama einer Sternentochter ist. Vielleicht weißt du, dass ich Verfechterin von Tabuthemen bin? Denn ich bin der festen Überzeugung, das gerade das Öffnen von solchen Themen nicht nur anderen hilft, sondern auch noch einmal der Person, die sich dafür öffnet. Deshalb habe ich Caro direkt angesprochen und war sehr glücklich, aber auch demütig, als sie zugesagt hat.
Ich wünsche dir, dass du aus der Geschichte von Caro ganz viel Mut, Kraft und Hoffnung schöpfen kannst. Zu guter Letzt möchte ich dir dennoch sagen, solltest du in solch einer Situation sein, scheue dich nicht dir professionelle Hilfe zu suchen, um den Verlust zu verarbeiten, um langfristig gesehen wieder glücklich zu werden.
Aber nun geht’s zu dem Interview.
Erzähl doch erst einmal ein wenig von dir: Wer bist du? Wo und wie lebst du aktuell?
Hallo.😊 Ich bin die Caro, bin ewige 29 Jahre alt (ganz vielleicht aber auch schon stolze 40) und wohne mit meinem Mann und unseren zwei Kindern im schönen Allgäu. Wir haben auch noch eine Sternentochter, die dennoch Teil unseres Alltags ist. Ich bin Lehrerin in Elternzeit und gebe nebenbei Babygebärdenkurse. Seit kurzem habe ich mein Portfolio erweitert und biete ab dem nächsten Jahr Superlöwenkurse an, um Kinder ab 4 Jahren in ihrer Resilienz zu stärken und ihnen zu mehr Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen zu verhelfen 😊 Ich liebe einfach die Arbeit mit kleinen Kindern!
Wie kam es dazu, dass du Mama einer kleinen Sternentochter geworden bist?
Am Anfang der Schwangerschaft war (abgesehen von einem komischen Gefühl) augenscheinlich alles super. Schnell war ich in der 20. SSW und fühlte mich soweit „sicher“. Irgendwann hatte ich Angst vor einer Blasenentzündung und habe deshalb so Teststreifen benutzt. Tja… Die zeigten leider eine Menge Eiweiß an und es wurde immer mehr. Ich googelte (ich weiß, das soll man nicht 😋) und stieß auf das HELLP-Syndrom.
Daraufhin habe ich natürlich auch meinen Blutdruck überprüft (viel zu hoch) – die Leberwerte konnte ich ja schlecht prüfen 😇 Meine damalige Frauenärztin war im Urlaub, die Vertretung meinte nur, ich soll halt nicht so viel googeln. Man hätte das frühestens ab der 30. SSW. Im Ultraschall scheint ihm aber schon aufgefallen zu sein, dass meine Tochter nicht optimal versorgt wurde (22. SSW).
Ich fand das komisch und hatte immer noch so hohen Blutdruck, also ging ich zu meinem Hausarzt, der mich zum Glück ernst nahm und mir einen Termin beim Kardiologen organisierte. Da ging dann alles ganz schnell. Ich bekam ein Herzultraschall für mich und meine Tochter. Desweiteren wurde mir einiges an Blut abgenommen und ich sollte auf die Ergebnisse warten. Miese Nieren- und Leberwerte, Blutgerinnung zu niedrig, Wassereinlagerungen. Der Blutdruck war weiterhin viiiiiiel zu hoch – ich erfüllte alle Punkte vom HELLP-Syndrom. Zusätzlich kam raus, dass meine Zuckerwerte zu hoch waren (wahrscheinlich hat ein unentdeckter Schwangerschaftsdiabetes all das ausgelöst).
Ich wurde direkt ins Krankenhaus eskortiert und durfte gar nicht mal mehr heim, geschweige denn allein sein. Während im Kreißsaal noch mehrmals gemessen wurde, wurde mir ein „Schwangerschaftsvergiftungstest“ angeboten, der mittlerweile regelmäßig durchgeführt wird, damals aber noch in der Testphase steckte (Spoileralarm: die Werte waren auch hier sehr hoch). Ehe ich mich versah, wurde ich mit Blaulicht und heftigsten Blutdruckwerten (teilweise 230/140) in ein weiter entferntes Krankenhaus gefahren, das eine spezielle Neointensiv hat. Dort wurde mir empfohlen, die Schwangerschaft abzubrechen (hab ich natürlich vehement verweigert!).
Von da an war ich stationär und bekam etliche Medikamente, um den Blutdruck in den Griff zu bekommen (160/100 war das Ziel, damit die Kleine weiterhin versorgt wird). Jeden Tag standen etliche Untersuchungen an (Ultraschall, nüchtern wiegen wegen den heftigen Wassereinlagerungen, etc.). Ich hatte zusätzlich noch eine Feindiagnostik, bei der ich erfuhr, dass wir eine Tochter bekommen und dass sie total gesund ist, allerdings viiiiiiel zu leicht. Das Gespräch mit der Kinderärztin war schmerzhaft. Sehr schmerzhaft. Ab 23+0 dürfe man die Kleine holen – mit 50% Überlebenschance und sehr hohem Risiko für Folgeschäden. Bis 23+6 könnten wir entscheiden, sie nur palliativ zu behandeln. Das zu hören oder auch entscheiden zu müssen ist hart. Vor allem, wenn die Kinderärztin hochschwanger ist.
Wie bist du in und mit dieser Situation damals umgegangen?
Ich versuchte mich zu entspannen so viel es ging, versuchte optimistisch zu bleiben und sprach ganz viel mit unserer Tilda. Ich versprach ihr, für sie zu kämpfen und erklärte ihr, dass sie selbst entscheiden dürfen, ob sie weiterkämpft oder gehen will. Long Story short: In der SSW 22+3 freuten sich die Ärzte, dass die Werte besser wurden. Aber nur kurz, denn mittags beim Ultraschall wurde dann klar, wieso.
Der Doppler war schwarz. Ich habs selbst direkt erkannt. Die Ärztin wurde erst nervös, dann hektisch und rief die Oberärztin. Sie hatte die gleiche Reaktion und musste dann verkünden: „Ihre Tochter ist tot.“ Das Herz schlug nicht mehr, sondern bewegte sich noch sanft in meinem Takt. Das war mit Abstand der schlimmste Satz den ich hören musste in Kombination mit dem schwärzesten Doppler. Ich war direkt wie aus dem Leben gerissen. Selbst die Ärztinnen waren schockiert und fassungslos.
Magst du berichten, was anschließend passiert ist?
Die Ärzte waren unglaublich einfühlsam und besorgten mir direkt ein Einzelzimmer mit einem zweiten Bett für meinen Mann, in dem er kostenlos bei mir bleiben konnte, bis ich wieder entlassen werde und stellten mir eine Krankenschwester bei, die auch ein Sternenkind hat und immer innerhalb kürzester Zeit da war. Den Seelsorger habe ich abgelehnt.
Abends bekam ich direkt eine Tablette, die die Geburt zwei Tage später erleichtern sollte. Ein Kaiserschnitt wurde mir verweigert, weil das Verletzungsrisiko für die Gebärmutter zu hoch sei (Tilda war ja zu klein und leicht) – im Nachhinein bin ich unendlich froh über das Erlebnis der Geburt.
Zwei Tage später ging glücklicherweise alles ganz schnell. Nach 2×2 Einleitungstabletten und ziemlich heftigen Wehen kam unser Sternenmädchen auf die Welt – alle waren überrumpelt, wie schnell es im Endeffekt ging. Mein Mann und ich durften die Geburt in meinem Einzelzimmer erleben und mussten nicht den Müttern mit lebenden Kindern zuhören, worüber ich unendlich dankbar war!
Direkt nach der Geburt wurde unsere kleine Tilda abgenabelt (für mich bis heute ein Geräusch, das mich wahnsinnig triggert), in ein Tüchlein „gewickelt“ und uns dann wieder gebracht (sie hatte noch ein kleines gehäkeltes Mützchen an. Die Ärzte und Krankenschwestern zogen sich daraufhin zurück und ließen uns allein von unserer Tochter Abschied nehmen. Es war faszinierend, wie wunderschön sie war. Sie war perfekt, aber halt wirklich viel zu leicht.
Es war Liebe auf den ersten Blick. Wir hatten uns dagegen entschieden Fotos von ihr zu machen (was ich heute so sehr bereue, da ich einfach alles vergessen habe). Nach einer halben Stunde kamen die Krankenschwestern wieder und brachten mich in den OP, weil sich die Plazenta nicht richtig gelöst hatte. Als ich dann wieder da war, war unsere Tilda weg und ich konnte sie leider nicht mehr sehen. Was und aber sehr gefreut hat: wir bekamen noch eine Karte mit ihren Fußabdrücken und einem schönen Spruch sowie einen Schmetterling. Beides bewahre ich sicher in unserer Tilda-Box auf.
Wie ging es dir nach der stillen Geburt?
Ganz ehrlich: ich war überfordert! Einerseits habe mich ich wie tot gefühlt – ein stilles Kind bei der Geburt ist einfach falsch. Die letzte Hoffnung, dass sie vielleicht doch lebt: zerplatzt… Angst davor, meine Tochter zu sehen, die ja tot war (diese war aber unbegründet: Unsere Tilda war wunderschön und schon so perfekt. Ein kleiner Minimensch einfach.) In mir drin war einfach nur Leere, aber auch dieses krasse Glücksgefühl, das sich durch die Geburt einstellt (das fand ich damals einfach schrecklich … So widersinnig…).
Ich hatte keine Kraft mehr und verspürte auch kein Hunger- oder Durstgefühl. Meine Welt stand buchstäblich still, während sie sich für alle Anderen weiter drehte. Echt krass, wie der Körper komplett in Schockstarre sein kann. Ich empfand das Alles als ungerecht. Zum Glück habe ich meinen Mann, der sich wirklich rührend um mich kümmerte. Er flößte mir Trinken ein, als ich nicht trinken konnte und war immer für mich da. Er organisierte ein paar Tage Kurzurlaub, um wieder zu Kräften zu kommen und ließ mich nicht allein.
Auch meine Familie hat ganz wunderbar reagiert und war einfach da. Sie hörten sich die selben Geschichten immer und immer wieder an und ließen unsere Tilda in Gesprächen weiterleben. Ich durfte auch eine wunderbare Hebamme kennenlernen, die innerhalb kürzester Zeit bei uns war, sich unsere Geschichte anhörte, die Rückbildung kontrollierte und ebenfalls einfach da war. Sie half mir auch beim „Abstillen“ (der Milcheinschuss tat mir damals in der Seele weh… Letztens habe ich von „weißen Tränen“ gelesen, die der Körper weint – das fand ich sehr treffend).
Wie bist du mit dem Verlust umgegangen?
Ich bin erst einmal direkt in eine Depression geschlittert. Ich lag eigentlich nur im Bett im abgedunkelten Schlafzimmer, ließ den Fernseher laufen, aber schaute nicht rein…. Ich war zu sehr in meinen Gedanken gefangen. Ich konnte nicht einkaufen gehen, weil ich dann direkt reizüberflutet war – selbst der Gang zum Briefkasten überforderte mich. Unsere Wohnung war einfach mein „Safe Place“, in dem ich die „blöde, unfaire“ Welt ausblenden konnte.
Nach etlichen Wochen ist dann zum Glück mein Kämpfergeist wieder erwacht. Ich las viele Bücher über Sternenkinder und stellte fest, dass wir ja gar nicht allein sind. Ich ging in der Natur spazieren, konnte aber nicht unter Menschen sein. Ich weiß nicht wieso, aber ich hatte zum ersten Mal im Leben das Bedürfnis, Akupunktur auszuprobieren und das hat mir geholfen, aus dem Loch zu kommen.
Bereits nach der ersten Sitzung waren diese krassen Herzschmerzen und der Druck in meinem Brustkorb weg. Nach der zweiten Sitzung konnte ich selbst zur Praxis laufen, ohne Musik im Ohr und Blick aufs Smartphone, um die Welt auszuschließen und nach der dritten oder vierten Stunde konnte ich wieder einkaufen gehen. Danach war ich wieder „lebensfähig“ und begann auch wieder mit dem Bogenschießen.
Wie geht es dir heute, 6 Jahre später?
Heute geht es mir tatsächlich gut. Ich durfte noch zwei wunderbare Kinder bekommen und bin wirklich froh, dass mein Mann, meine Familie und meine neue Frauenärztin die beiden Schwangerschaften mit mir durchgestanden haben. Diese jeweils 8-9 Monate waren für uns alle sehr nervenaufreibend, aber ich hatte ein tolles Netz!
Ich habe wieder Freude am Leben, liebe meine Kids, meinen Mann und meine Familie und kann optimistisch sein. Auch fühle ich mich wohl in meinem Körper und liebe ihn für meine 3 tollen Kinder. Unsere Tilda ist Teil des Alltags geworden. Meine große Tochter weiß, dass sie eine große Schwester im Himmel hat. Sie hat viele Fragen gestellt und wir haben ihr alles kindgerecht erklärt, was sie wissen wollte. Wir feiern auch jedes Jahr Tildas Geburtstag mit einem Kuchen und versuchen regelmäßig ihr Grab zu besuchen (sie liegt in einem Sternenkindergrab in der Stadt, in der sie auf die Welt kam).
Ein paar Macken habe ich aber dennoch behalten. Es gibt ein Geräusch, das mich total triggert und mich gefühlsmäßig jedes Mal zur stillen Geburt zurück wirft und die Zeit zwischen Anfang und Mitte September ist jedes Jahr wieder schlimm für mich. Mein Körper erinnert sich, der Kopf versucht das wegzuschieben. Auch schmerzt es mich jedesmal, wenn ich das Grab sehe. Eine Sache, die ich total bereue ist, dass wir damals keine Fotos von unserer Tochter gemacht haben. Wir haben einen Fußabdruck von ihr, aber kein Foto und ich habe vergessen, wie schön sie war.
Alles in Allem habe ich gelernt, mit meiner Trauer zu leben und mein Leben trotzdem zu genießen. Ich schätze die Zeit mit meinen Kindern, meinem Mann und meiner Familie so sehr und habe gelernt, dass sich das Leben nicht nur um Arbeit dreht. Niemand dankt es einem, wenn man sich aufarbeitet.
Was kannst du anderen Sternenmamas mit auf dem Weg geben?
„Du bist nicht allein! Auch wenn es sich oft und lang so anfühlt. Wir sind viele – so schlimm es ist, so sehr verbindet es.“ Durch das Erzählen meiner Geschichte durfte ich schon so viele tolle Sternenmamas kennenlernen. Es gibt ganz wunderbare Angebote, wie beispielsweise das Sternenband oder das Gedenkpaket von Sternenzauber Frühchenwunder und in größeren Städten gibt es richtig schöne, einfühlsame Gesprächskreise (die gab’s hier leider noch nicht). Es ist auch wichtig, es zu akzeptieren, wenn dein Partner und du anders trauern. Es gibt leider nicht den einen „richtigen“ Weg. Mir hilft es beispielsweise, darüber zu reden. Immer und immer wieder…
Mir war und ist es auch total wichtig, unsere Sternentochter in alltägliche Rituale einzubauen und von ihr zu sprechen. Denn unsere Kinder sind erst dann wirklich tot, wenn man nicht mehr von ihnen spricht. Im Nachhinein hätte ich mir, wie gesagt, gewünscht ein Foto von unserer Tilda zu haben (auch wenn wir uns damals einstimmig dagegen entschieden haben). Wichtig ist, dass man sich nur mit Menschen umgibt, die einem gut tun und die vielen „tollen“ Aussagen (sowas wie „Wer weiß, wofür es gut war“, . .) und „Ratschläge“ von Unbeteiligten nicht zu sehr an sich ranlässt. Die sind oft einfach überfordert und wissen nicht, was sie sagen sollen.
Liebe Caro, vielen lieben Dank für das Teilen deiner Geschichte und damit dem Mut machen von anderen Frauen, die Ähniches erlebt haben. Du möchtest einen Gastartikel schreiben oder deine Geschichte teilen? Dann melde dich super gerne bei mir und lass uns quatschen.